konstruktiv/konkrete Kunst in Basel – eine lange Geschichte

von Hans Jörg Glattfelder 

Seit über einem Jahrzehnt hat konstruktive, konkrete Kunst, rationale Gestaltung, Fotografie und Typografie im Atelierhaus von Rolf Rappaz am Klingental 11, Kleinbasel einen vortrefflichen Resonanzkörper. Von Besuchern werden gelegentlich Vergleiche zu ähnlichen Institutionen gezogen, zumal zu Zürich, und da hört man dann beim Grössenvergleich, dass in der Limmatstadt  diese Kunst eben eine viel ältere Tradition habe. Diese gängige Behauptung soll hier unter die Lupe genommen werden.

Wenn wir den Beginn unserer Untersuchung auf die Mitte der 1920er Jahre festlegen, muss man sich bewusst machen, dass in jenen Jahren jegliche Form von nicht-abbildender Kunst beim grossen Publikum als abwegig, provokativ, kurz: als Nicht-Kunst betrachtet wurde. Weitblickende Kunstvermittler, die für diese Strömungen Verständnis zeigten, hatten einen schweren Stand. Im politisch zunehmend  verschlossenen folgenden Jahrzehnt  verhärtete sich diese Haltung noch; junge Künstler mit solchen Ideen hatten kaum Ausstellungsmöglichkeiten. Eine der wenigen Ausnahmen in diesem Panorama war der Direktor des Kunsthauses Zürich, Wilhelm Hartmann, der immer wieder international bekannte «abstrakte» Künstler ausstellte und dann 1936 mit der Ausstellung «Zeitprobleme der Schweizer Malerei und Plastik» etwa 50 Künstlerinnen und Künstler Gelegenheit gab, ihre Werke zu zeigen und im Katalog Max Bill eine Plattform für seinen programmatischen Text «konkrete Kunst» anbot. Beim Städtevergleich blieb es aber nicht lange bei diesem Vorsprung, denn schon 1937 organisierte Georg Schmidt in der Kunsthalle Basel die Ausstellung «Konstruktivisten», die durch den Einbezug wichtiger europäischer Künstler internationale Beachtung fand. In der Entwicklung künstlerischer Bewegungen spielen Ideen eine entscheidende Rolle und Georg Schmidt hat in der Präsentation seiner Ausstellung  den Konstruktivismus unübertrefflich mit folgenden Worten definiert: «Wenn die konstruktivistischen Künstler die Naturerscheinungen auch nicht mehr als Gegenstand der Kunst anerkennen mögen, so ist ihre Kunst umso tiefer gegründet auf dem Gehorsam und der Liebe gegenüber den Naturgesetzen. Gelöst von der Bindung an die Naturerscheinungen, gibt diese Kunst dem  erfindenden und formenden Geist, der schöpferischen Phantasie, die denkbar grösste Freiheit.»

Dieser bis heute gültigen Worte wegen, in denen philosophisches Staunen und bildnerisches Denken von Paul Klee mitschwingen, verdient Georg Schmidt immer wieder zitiert zu werden. 

Im selben Jahr, 1937, diesmal wieder in Zürich, wurde von Leo Leuppi und Richard Paul Lohse die Schweizer Künstlervereinigung «Allianz» gegründet, der sofort zahlreiche Basler Künstler beitraten. Die Vereinigung verlieh in jenen Jahren, als es noch wenige private Sammler gab, den Mitgliedern  gegenüber den Behörden und Institutionen eine gewisses Gewicht bei Verhandlungen um Aufträge und  öffentliche Wettbewerbe. In der «Allianz» waren sowohl Konstruktivisten als auch Surrealisten vertreten. Darin widerspiegeln sich auch lokale Gegebenheiten: in Zürich dominierten die Konstruktiven um Bill und Lohse, in Basel eher die Surrealisten. Dennoch trugen sich dort auch profilierte Konstruktive wie etwa Walter Bodmer ein. Wichtige internationale Mitglieder, wie Le Corbusier oder Paul Klee hatten wenig lokalen Bezug, hingegen weilten Sophie Taeuber und Jean Arp oft in Basel, wo sie auch intensive Beziehungen zu einigen Sammlern wie dem Ehepaar Müller-Widmann oder den Hagenbachs pflegten. 

Der Einfluss von Sophie Taeuber als wichtiger Mitbegründerin der konkreten Kunst, sowohl in ihren Werken als auch gedanklich, zurückhaltend aus dem Hintergrund agierend, etwa als Briefschreiberin oder als Redaktorin der Zeitschrift «Plastique», dringt erst sehr langsam ins Bewusstsein. Georg Schmidt muss sich dessen jedoch schon 1937 bewusst gewesen sein: er lud sie als einzige Schweizer Künstlerin mit einer grossen Werkgruppe in die Ausstellung «Konstruktivisten» ein.

1940 erschien im Allianz-Verlag in Zürich der «Almanach neuer Kunst in der Schweiz», an dem auch zahlreiche Basler Künstler beteiligt waren. Es waren harte Zeiten, der 2. Weltkrieg hatte gerade begonnen, doch das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Künstlern der «Avantgarde» überwog stilistische oder lokalpatriotische Rivalitäten. Eine eigenständige Konzeption des Konstruktivismus entwickelte in Basel Walter Bodmer, dessen Eisenreliefs auch heute noch gelegentlich an öffentlichen Bauten zu sehen sind. Viele dieser Avantgardekünstler gingen anderen Berufen nach, Bodmer z.B. war der Lehrer von Jean Tinguely.

1944, mitten im Krieg, dessen Ende noch nicht absehbar war, organisierte Georg Schmidt in der Basler Kunsthalle die Ausstellung «konkrete Kunst». Gezeigt wurden neben jüngeren Schweizer Künstlern wie Bill, Lohse und Bodmer zahlreiche Leihgaben aus Basler Sammlungen, wobei sich zeigte, wie umsichtig und gut informiert in dieser Stadt gesammelt wurde. Zu nennen wäre hier neben der Sammlung Hoffman-La Roche Frau Marguerite Hagenbach, die in Jean Arp einen guten Berater hatte, wieder auch die Sammlung Müller-Widmann, die Sammlung Doetsch-Benziger oder jene von Hermann Eidenbenz, welcher die Ur-Ikone der konkreten Kunst, «Composition arithméthique» Theo Van Doesburgs zu Verfügung stellte.

Mit dem Ende des 2. Weltkriegs zeigte sich in den schwer in Mitleidenschaft gezogenen europäischen Ländern ein grosses Bedürfnis, sich wieder der Kunst zu widmen, auszustellen, Kontakte aufzunehmen und Pläne zu schmieden. In Frankreich waren es unter anderen die alljährlich abgehaltenen «Salons des Réalités Nouvelles», die zu internationaler Beteiligung aufriefen und das Ziel hatten, Paris wieder zu einem Zentrum der zeitgenössischen Kunst zu machen. Aus Basel reiste Jean Arp häufig nach Paris, um in seinem Atelierhaus in Clamart zu arbeiten.1948 liess er auch von Hugo Weber das heute noch gültige Werkverzeichnis für Sophie Taeuber in Basel erstellen. Durch Arp erfuhren die interessierten Basler Künstler, was sich in der Pariser Avantgardeszene abspielte, aber auch das jährlich erscheinende Bulletin der «Réalités Nouvelles» war eine wichtige Informationsquelle.

In dem zunächst nur zaghaft sich belebenden Kunstbetrieb tauchte nun ein neuer Akteur auf, den es bis anhin für die Avantgardekunst kaum gegeben hatte: die Kunstgalerie. 1945 eröffnete in Basel die Künstlerin Suzanne Feigel am Aeschengraben ihre «Galerie d`art moderne», wo man Werke von Arp, Klee, Calder oder Delaunay kaufen konnte. Auch hier agierte im Hintergrund Georg Schmidt, dessen Bedeutung für die Verbreitung der zeitgenössischen Kunst in Basel man nicht genug wertschätzen kann. Schon ein Jahr später begann Ernst Beyeler seine Laufbahn als begnadeter Kunstvermittler, indem er in dem von ihm geführten Antiquariat wertvolle zeitgenössische Graphik ausstellte. Später gesellte sich dann auch Trudl Bruckner mit der «Galerie Riehentor» dazu. In ihren Räumen zeigte sie nicht selten jüngere Künstler, auch der konstruktiven Richtung. Ihre grössten Verdienste für die Bedeutung Basels als Kunstmetropole hat Trudl Bruckner aber sicherlich als Initiantin der Messe ART Basel, welche sie 1970 zusammen mit Felix Handschin, Ernst, Beyeler, Balz Hilt und anderen gründete. 

Ganz auf Basler «Grund» gewachsen war Karl Gerstner, der 1957 mit der Publikation seiner Thesen in «kalte kunst» grosse Aufmerksameit erregte. Nicht nur war er ein äusserst erfolgreicher graphic designer und Typograph, von Basel aus agierte er auch für neue Formen der Kunstdiffusion, wie z.B. durch die Gründung der «Edition MAT». In diesem Zusammenhang wäre hier ein ausführliches Kapitel dem Gewicht Basels für die Entwicklung der «Helvetischen Typografie» zu widmen, welche Weltgeltung erlangte und daher in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit, aufgenommen wurde; man denke nur an die Namen von Jan Tschichold, Emil Ruder oder Wolfgang Weingart.

Eine bedeutsame Figur in der Basler Kunstszene war seit Ende der 50er Jahre zweifellos auch der aus Ungarn stammende Kunstkenner und -händler Carl Laszlo, grossartiger Zeitzeuge, der drei Konzentrationslager überlebt hatte und von seiner Basler Residenz am Sonnenweg aus ein interkontinentales Beziehungsnetz aufbaute und pflegte. Sehr früh schon kamen so noch kaum bekannte konstruktive Künstler wie Vasarély oder Alviani nach Basel, aber auch literarische Repräsentanten der Beat Generation wie William S. Burroughs oder Brion Gysin, letztere übrigens durch den im Rappaz Museum wohlbekannten Udo Breger vermittelt. Für Carl Laszlo war konstruktive Kunst nur eine unter vielen Ausdrucksmöglichkeiten seiner Zeit, was auch sehr deutlich in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Panderma erkennbar wird, welche eher surrealistischen Auffassungen den Vorzug gibt. In den 60er Jahren arbeitete bei Carl Laszlo auch Miklos von Bartha, ebenfalls mit ungarischen Wurzeln. Von Bartha eröffnete dann 1970 eine eigene Galerie, in deren Ausstellungsprogramm bis heute die konstruktiv/konkrete Kunst einen festen Stellenwert hat. 

In unsern Tagen gibt es in Basel  mehrere Galerien, die in ihrem Programm nicht ausschliesslich, aber doch auch konstruktiv/konkrete Kunst zeigen, wie die Galerie Knoell oder die Galerie Gisele Linder. Eine eindeutig konstruktive Linie verfolgen – geduldig seit über 50 Jahren – die tapferen Frauen des Atelier  Editions Fanal, die sich durch ihre langjährige Teilnahme an der ART Basel einen internationalen Namen erworben haben.

In dieses Umfeld hat sich nun seit zehn Jahren als wichtiger Resonanzkörper auch das Rappaz Museum eingefügt, wo unter der geschickten Führung von Armin Vogt konsequente Weiterentwicklungen der konstruktiven und konkreten Kunst vermittelt werden.

Vortrag gehalten vor den «Amis du Musée Rappaz», 20. April 2023

Schluss…

Liebe Besucherinnen und Besucher
Liebe Künstlerinnen und Künstler
Liebe Freundinnen und Freunde des Hauses

Wir sind untröstlich, Ihnen heute folgende Mitteilung machen zu müssen:

Im Dezember 2022 ist Gisèle Rappaz, die Präsidentin der gleichnamigen Stiftung und Witwe des Namensgebers unseres Museums, Rolf Rappaz, verstorben. Die Gisèle & Rolf Rappaz Stiftung hat damit die langjährige und einzige Mäzenin verloren. Nach Einschätzung des Stiftungsrates verfügt das Museum künftig über keine ausreichenden Finanzmittel, um den Museumsbetrieb aufrecht zu erhalten, und so wird das Rappaz Museum seine Pforten auf Ende 2023 schliessen. Das bisherige Museums-Team um Kurator
Armin Vogt wird an möglichen Zukunftsplanungen nicht involviert sein.

Für allfällige Fragen und weitere Informationen wenden Sie sich an die
Gisèle & Rolf Rappaz Stiftung
Gartenstrasse 95, 4002 Basel
061-225 66 66, info@artax.ch

Mit freundlichen Grüssen
Armin Vogt
Kurator Rappaz Museum, Basel

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Nachruf

In den Morgenstunden des 21. Dezember 2022 ist Gisèle Rappaz-Joly von uns gegangen. Wir betrauern einen immensen menschlichen Verlust für die Gisèle und Rolf Rappaz Stiftung, deren Stiftungsrats-Präsidentin sie war, insbesondere aber auch für das von ihr ins Leben gerufene Rappaz Museum, seit dessen Eröffnung sie das Oeuvre ihres geliebten Mannes über ein Vierteljahrhundert lang hingebungsvoll pflegte und grosszügig unterstützte.

Rolf Rappaz, Jahrgang 1914, der Namensgeber unseres Museums, durchlief eine gründliche Berufsausbildung zum grafischen Gestalter in seiner Heimatstadt Basel und Paris. Bereits in den 1930er Jahren gründete er sein eigenes, erfolgreiches Atelier für Gebrauchsgrafik, in das Gisèle Joly ein gutes Dutzend Jahre später eintreten, fortan als seine rechte Hand fungieren und schon bald seine Ehepartnerin werden sollte. Nicht zuletzt ihrer tatkräftigen Mitwirkung ist es zu verdanken, dass Rolf Rappaz den Status einer Ikone der Schweizer Werbegrafik erlangte. Auch als er Mitte der 1960er Jahre seine Tätigkeit als Grafiker aufgeben und sich ausschliesslich seiner eigenen Kunst widmen sollte, pflegten Rappaz und seine Frau Giséle ein geradezu symbiotisches Arbeitsverhältnis.

Mit Gisèle Rappaz-Joly trauern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gisèle und Rolf Rappaz Stiftung und des Rappaz Museums um eine grosse Persönlichkeit, eine stilvolle Erscheinung wie auch um eine warmherzige Frau voller Empathie, die allen, die über die Jahre mit ihr zu tun hatten, fehlen wird.

Armin Vogt, Udo Breger, Museumsmitarbeiter
Jörg Nick, Dr. Bernhard Madörin, Stiftungsrat
Gisèle und Rolf Rappaz Stiftung, Basel

Liebe Besucherinnen und Besucher
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Wir sind untröstlich, Ihnen heute folgende Mitteilung machen zu müssen:

Im Dezember 2022 ist Gisèle Rappaz, die Präsidentin der gleichnamigen Stiftung und Witwe des Namensgebers unseres Museums, Rolf Rappaz, verstorben. Die Gisèle & Rolf Rappaz Stiftung hat damit die langjährige und einzige Mäzenin verloren. Nach Einschätzung des Stiftungsrates verfügt das Museum künftig über keine ausreichenden Finanzmittel, um den Museumsbetrieb aufrecht zu erhalten, und so wird das Rappaz Museum seine Pforten auf Ende 2023 schliessen. Das bisherige Museums-Team um Kurator
Armin Vogt wird an möglichen Zukunftsplanungen nicht involviert sein.

Für allfällige Fragen und weitere Informationen wenden Sie sich an die
Gisèle & Rolf Rappaz Stiftung
Gartenstrasse 95, 4002 Basel
061-225 66 66, info@artax.ch

Mit freundlichen Grüssen
Armin Vogt
Kurator Rappaz Museum, Basel